Infos zu historischen Persönlichkeiten und Ereignissen in “Livename”
LIDDY BACROFF
Liddy Bacroff wurde am 19. August 1908 in Ludwigshafen am Rhein geboren. Bacroff lehnte die ihr zugewiesene männliche Geschlechterrolle ab und wurde laut dem damaligen Sprachgebrauch als Transvestit bezeichnet. Als „schwer erziehbar“ eingestuft, wurde Bacroff für ein Jahr in ein Erziehungsheim gesteckt. Nach einer abgebrochenen kaufmännischen Lehre arbeitete Bacroff in einfachen Büro- und Botentätigkeiten und anschließend als „Tanzdame“ bei einem Zirkus. Im November 1929 verließ Bacroff Ludwigshafen und zog zunächst nach Berlin, dann nach Hamburg. Dort lebte Bacroff ein abenteuerliches, schillerndes Leben, war in der Prostitution und Travestie-Shows tätig. Sie verfasste Texte und trug damit selbstbestimmt zur Dokumentation ihres Lebens bei. Bacroff wurde mehrfach aufgrund homosexueller Handlungen nach § 175 inhaftiert und im KZ Gusen I getötet.
Liddy ist gewissermaßen eine lokale Berühmtheit. Ihr Leben wurde in diversen Artikeln der Zeitung „Die Rheinpfalz“ besprochen. Im Jahr 2016 erarbeitete das Mannheimer Theater „Oliv“ ein Theaterstück über ihre Geschichte. Unter dem Titel „Will flirten, toben, schmeicheln! Lasst mich – ich bin Liddy“, wurden persönliche Schriften und andere Dokumente als Theater-Collage aufbereitet.
Liddy Bacroff wurde am letzten Wohnort in Hamburg, in der Simon-von-Utrecht-Straße 79, ein Stolperstein gesetzt. Auf der Internetseite www.stolpersteine-hamburg.de ist die Lebensgeschichte Liddy Bacroffs als Audioaufnahme zu hören und es wird aus Bacroffs Aufzeichnungen während der Gefängnisaufenthalte zitiert. Leider (finden wir, das “Livename”-Team) lautet der Stolperstein auf Liddys Deadname.
Mehr zu Liddy Bacroff und und anderen queeren Persönlichkeiten aus der Rhein-Neckar-Region in:
Dana-Livia Cohen, Wolfgang Knapp, Christian Könne: Queer im Leben! Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region. Schriftenreihe Marchivum Nr. 9. Verlag Regionalkultur 2022.
MAGNUS HIRSCHFELD
Magnus Hirschfeld war ein deutscher Arzt und Sexualwissenschaftler jüdischer Herkunft. Er gründete 1919 das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin. Es diente wissenschaftlichen, praktischen, aufklärerischen und politischen Zielen. Mit einer naturwissenschaftlichen Argumentation verbanden die Mitarbeitenden des Instituts Sexualwissenschaft und Sexualpolitik, eine Strategie, die in Bezug auf die Entkriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen trotz vieler Aktionen und Bündnisse erfolglos blieb. Das Institut wurde am 6. Mai 1933 von den Nationalsozialisten geplündert und geschlossen, die Mitarbeitenden ins Exil getrieben und Teile der umfangreichen Bibliothek symbolisch auf dem Berliner Opernplatz verbrannt. Hirschfeld starb 1935 an seinem 67. Geburtstag im Exil in Nizza. Auf seinem Grabstein steht sein Lebensmotto: „Per scientiam ad justitiam“ („durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“).
Auf der Homepage der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, einer Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft, findet man historische Informationen sowie Informationen zu verschiedenen Ausstellungen: https://magnus-hirschfeld.de
„Der Einstein des Sex – Leben und Werk des Dr. Magnus Hirschfeld“ ist ein Filmdrama von Rosa von Praunheim aus dem Jahr 1999, das sich basierend auf realen Begebenheiten mit Hirschfelds Leben auseinandersetzt: https://archive.org/details/Magnus-Hirschfeld_Der-Einstein-des-Sex_Film-1999
KARL GIESE
Karl Giese war ein deutscher Archivar und Museumskurator – und Lebenspartner von Magnus Hirschfeld. Giese war Student, als er 1918 nach einem Vortrag in München Magnus Hirschfeld kennenlernte. Hirschfeld soll damals durch „völkische Rowdys“ schwer verletzt worden und Giese ihm zur Hilfe gekommen sein. Er wurde später ein Mitarbeiter und schließlich Geliebter Hirschfelds. Er übernahm die Leitung des Archivs des Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin. Giese hielt dort auch Vorträge, gestaltete Ausstellungen und verfasste Artikel. Nach dem Tod Hirschfelds im Jahr 1935, wurden Karl Giese die Bibliothek und diejenigen Gegenstände zugesprochen, die aus dem Institut „mit seiner Hilfe aus Deutschland gerettet“ worden waren. Es gelang ihm aber nicht, den materiellen Teil des Erbes zu realisieren. 1936 zog Giese nach Brünn (heute Brno, Tschechien), wo er sich im März 1938 nach dem Anschluss Österreichs das Leben nahm. Seitdem sind sein Besitz und auch das hirschfeld‘sche Erbe verschollen.
Mehr Informationen zu Institutsmitarbeitenden wie Karl Giese finden sich auf der Homepage der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft: https://magnus-hirschfeld.de
DORA RICHTER
Dora Richter, genannt „Dorchen“ war die erste namentlich bekannte Person, die sich einer vollständigen Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau samt Vaginoplastik unterzog. Bereits 1897, im Alter von 6 Jahren, versuchte sie ihren Penis zu entfernen. Sie begann Mädchen- bzw. Frauenkleidung zu tragen und lebte, soweit sie konnte, als Frau. Mehrfach wurde sie deshalb eingesperrt und war dann gezwungen, ihre Strafe in Männergefängnissen abzubüßen, bis sie von einem Richter in die Obhut von Magnus Hirschfeld entlassen wurde. Hirschfeld erwirkte für sie eine besondere polizeiliche Erlaubnis, Frauenkleidung zu tragen, und da es sonst für sie fast unmöglich war eine Anstellung zu bekommen, stellte er sie zusammen mit einigen anderen Transgender-Personen als Hausangestellte am Institut für Sexualforschung ein; dort wurde sie liebevoll „Dorchen“ genannt. Über Dorchen Richters weiteres Leben und Sterben nach dem Angriff der Nazis 1933 auf das Institut sind keine weiteren Informationen bekannt.
Mehr Informationen zu Institutsmitarbeitenden wie Dora Richter finden sich auf der Homepage der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft: https://magnus-hirschfeld.de
TUNTENHAUS / MAINZER STRASSE
Im Ost-Berlin des Jahres 1990 nutzten Hausbesetzer*innen die fehlende staatliche Ordnung, um eigene Lebensentwürfe ungestört austesten zu können. So entstanden in der Mainzer Straße verschiedene Kneipen, Infoläden sowie ein Antiquariat für DDR-Literatur. Ein in vielerlei Hinsicht besonderes Hausprojekt war das Tuntenhaus mit seiner Kneipe „Forellenhof“. Am 1.5. 1990 wurde das Haus in der Mainzer Straße besetzt. Im „Tuntenhaus“ lebten 30 Menschen, vorwiegend aus der schwulen und autonomen Szene.
Einen spannenden Einblick in das Leben der Bewohner*innen des Tuntenhauses in der Mainzer Straße gibt die Doku „Battle of Tuntenhaus“ von Juliet Bashore sowie diese Homepage: https://mainzerstrasse.berlin/tuntenhaus/index.html
(Quellen: wikipedia.org, mainzerstrasse.berlin/tuntenhaus, magnus-hirschfeld.de)